N°22: Ein verlorener Sohn (gefalzt)
Märchen: Michael Köhlmeier, Hohenems/Wien
Gestaltung: Kurt Dornig, Dornbirn
Gedicht: Maximilian Lang, Bregenz/Wien
Eine schaurig-schöne Geschichte von Margarethe und ihrem Bruder Herwig
Appetizer
…
Herwig nannte Susanne nicht beim Namen. Nie. Zu ihr ins Gesicht sagte er «du»; und wenn er mit Margarethe über sie sprach, sagte er «sie». Mit dem Vater sprach er über die neue, bald schon angeheiratete Frau gar nicht, nicht ein Wort. Susanne war nicht viel älter als Herwig. Der war inzwischen neunzehn, sie war zweiundzwanzig. Nicht gut, gar nicht gut. Ein Abstand von fünfundzwanzig Jahren zum Vater, nicht gut. Sie sah aus wie ein Wunder, auch von der Nähe, das musste Herwig zugeben, es hätte keinen Sinn gehabt, das abzustreiten. Ein goldener Helm, die Haare. Dabei aber dunkle Brauen wie bei einer Schwarzhaarigen und schnurgerade, nicht gewölbt, so wie die Augenbrauen von Marlon Brando. Und eine Figur! Margarethe wusste genau, worauf es ihrem Bruder und ihrem Vater bei der Figur einer Frau ankam, auf den Hintern nämlich. Und mit dem konnte Susanne prahlen, aber wie. Dabei musste sie gar nicht prahlen, das war nicht nötig. Sie brauchte sich nicht zu verrenken, nicht einmal ein besonders günstiges Kleidungsstück musste sie anziehen. Immer war alles richtig.
Auszug aus EIN VERLORENER SOHN von Michael Köhlmeier
Michael Köhlmeier
Michael Köhlmeier wurde 1949 in Hard am Bodensee geboren und lebt heute in Hohenems/Vorarlberg und Wien. Er studierte Germanistik und Politologie in Marburg sowie Mathematik und Philosophie in Gießen und Frankfurt. Michael Köhlmeier schreibt Romane, Erzählungen, Hörspiele und Lieder und tritt sehr erfolgreich als Erzähler antiker und heimischer Sagenstoffe und biblischer Geschichten auf. Michael Köhlmeier wurde vielfach ausgezeichnet, zuletzt 2017 mit dem Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung sowie dem Marie Luise Kaschnitz-Preis für sein Gesamtwerk und 2019 mit dem Ferdinand-Berger-Preis. (Foto © Heike Bogenberger)
https://www.hanser-literaturverlage.de/autor/michael-koehlmeier/
Maximilian Lang
Maximilian Lang wurde 1986 in Bregenz geboren. Er studierte Vergleichende Literaturwissenschaft in Wien. Seit 2006 werden Langs Dramen regelmäßig am Theater Kosmos in Bregenz uraufgeführt. Für sein Stück DAS REICH DER MITTE erhielt er 2012 das Dramatikerstipendium der Stadt Wien. 2017 gewann er den ersten Preis der Nibelungen-Festspiele Worms und die damit verbundene Uraufführung seines Werkes LAST EXIT: HUNNENLAND. Mehrere Kurzdramen (Marburger Kurzdramenwettbewerb 2013), Kurzgeschichten und Gedichte sind in Anthologien und Literaturzeitschriften veröffentlicht. Maximilian Lang lebt seit 2012 als freier Autor und Texter in Bregenz. (Foto © David Welsch)
Kurt Dornig
Kurt Dornig wurde in Vorarlberg geboren und machte sich 1986 – ohne nennenswerte Ausbildung – als Teil eines Teams von Freelancern selbstständig. Dort lernte er drei nette Kollegen kennen, mit denen er die Designagentur saegenvier gründete. 2006 verabschiedete er sich nach 20 Jahren von der klassischen Werbung und seinen Partnern und gründete sein eigenes Atelier in Dornbirn. Seitdem liegt der Schwerpunkt seiner Tätigkeit in der Konzeption und Gestaltung von Publikationen, Packaging- und Corporate Design. Ab 2008 holte er das Studium nach, indem er acht Jahre als externer Lehrbeauftragter an der FH Vorarlberg Buchgestaltung unterrichtete. Er versteht sich als visueller Dolmetscher zwischen Auftraggebern und Leserschaft und gibt erst Ruhe, wenn die Balance von Inhalt, Form und Funktion ausgeglichen ist. Zu seinen Auftraggebern zählen u.a. die Hilti Art Foundation, das vorarlberg museum und der Biber Umweltprodukte Versand. (Foto: c Darko Todorovich)
Onepage Ausgabe N°22
Diese Ausgabe ist auch von Hand
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ungefalzt: CHF 40.00
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Schriften: Ingeborg der Wiener
Schriftenschmiede Typejockeys
Papier: Munken Polar Rough 300 g/m2