N°17: Text, Sex, Scheiße
Text: Sonja Knecht, Berlin
Gestaltung: Martin Tiefenthaler, Matrei/Osttirol
Lyrik: Arne Seidel alias Ahne, Berlin
Wie umgehen mit Wörtern? Welche Macht haben sie in unserem Leben, welche Möglichkeiten wir? Drei Thesen über Text.
Appetizer
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I did try to fuck her.
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Das Original stammt von Donald J. Trump und wurde im Sommer 2016 publik, er im Herbst desselben Jahres Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Und das ist Scheisse. Eine Riesenscheisse. Ein Riesenscheisszusammenhang. SCHEISSE.
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Wenn jemand an exponierter Stelle, jemand, der ein öffentliches Amt bekleidet, so sprechen und so etwas sagen darf, ohne in Schimpf und Schande aus dem Amt und überhaupt zum Teufel gejagt zu werden, ohne dass das Auswirkungen auf seine exponierte Stelle hat, dann hat das fatale Folgen. Sofort. Und weitreichend. Wir hören und wir spüren sie überall. Das verselbständigt, verstärkt und bestätigt sich, wieder und wieder. Wenn ein Wort, ein Satz, etwas Gesagtes da ist, dann ist es auch da, dann ist es in der Welt. Und es hat Wirkung. Besagte Positionierung war ein Paukenschlag für eine Machtergreifung und einen Kampf mittels Sprache sondergleichen. Das einzige Ziel: Machterhalt, Sicherung von Macht, siegen, sich behaupten. Eine solche Selbstinszenierung und Selbstermächtigung, unwidersprochen, manifestiert Möglichkeiten. Das ebnet den Weg für weiteres. Das legitimiert sich und andere, findet Nachahmer. Wer die Macht hat, solcherart Dinge zu behaupten, unabhängig auch davon, ob sie stimmen oder nicht, behauptet sich in siner Macht. Macht sich zum Oberhaupt. Um nichts anderes geht es.
Auszug aus TEXT, SEX, SCHEISSE von Sonja Knecht
Sonja Knecht
In Indonesien geboren, aufgewachsen in Venezuela und in der deutschen Sprache zuhause. Studium: Englisch, Spanisch, Geisteswissenschaften, Erstberuf Übersetzerin. Jobs als Grafikerin führten sie zur Typografie und zu ihrer Herzenssache, Text. Seit 1997 freie Texterin und Expertin für Unternehmenskommunikation. Sonja Knecht unterstützt Agenturen, Institutionen und andere Auftraggeber bei der Selbstbeschreibung, Kommunikation und Projektarbeit. Sie fasst in Worte, was sie sagen wollen – über sich, ihre Marke(n), Produkte oder andere Themen. Sie ergänzt visuelle Identitäten um ihre verbalen Komponenten und macht sie so erst komplett. Verbal Identity, Corporate Wording und Brand Language wären dazu die aktuellen Stichworte. 2008 bis 2015 war Sonja Knecht Director Text bei Erik Spiekermann in dessen Corporate-Design-Agentur (SpiekermannPartners, Edenspiekermann) in Berlin. Für die TYPO International Design Talks hat sie ein 30-köpfiges Editorial Team aufgebaut und geleitet. Seit 2014 Moderation bei Konferenzen, Vorträge und Lehre an Hochschulen für Kunst und Design.
Martin Tiefenthaler
martin tiefenthaler, 1983 diplom für malerei an der akademie der bildenden künste, wien; mehrmonatige reisen nach ägypten, sri lanka, malaysien, burma, thailand, indien. performances und tourneen u.a. mit den musikgruppen ›laut vereinbarung‹, ›ehe‹, ›earfuck‹, ›tiefe töne‹. seit 1988 selbständiger grafiker als atelier tiefenthaler ID IID IIIDesign; 1995—98 kunstgeschichte-vorlesender an der schule für künstlerische photographie, leitung friedl kubelka; seit 1998 unterrichtender für entwurf, typografie und semiotik an der ›die graphische‹ in wien; 1999 mitbegründer der typographischen gesellschaft austria (tga), in der er zusammen mit barbara nedved, erich monitzer und gerhard pany vorträge, ausstellungen und das symposion raabs organisiert; vorträge und workshops zu soziopolitisch-typografischen fragestellungen im in- und ausland (u.a. typo berlin, tÿpo st gallen, typetalks2 posen). 2017 kurator der tga-ausstellung ›subtext: typedesign. zeitgenössisch—lokal: contemporary—austrian‹ im designforum/mq in wien und mitherausgeber des gleichnamigen katalogs. arbeitet zur zeit an seiner dissertation über den einfluss der wahlmöglichkeit wörter groß- oder kleinschreiben zu können auf das europäische denken.
Arne Seidel / Ahne
Ahne musste im Jahre 1968 quasi gezwungen werden aus dem Schoß seiner Mutter zu kriechen. Seine ersten Worte waren: «nein» und «warum». Lange Haare bis 15, danach kurze Haare. Mit 21 gründete er das 'Neue Forum' und stürzte die SED-Regierung, dann probierte er dasselbe in der BRD, scheiterte aber durch Verrat (und weil keine SED existierte). Es folgten ausgedehnte Studien der eigenen vier Wände, intensive Nabelschau, Alkoholmissbrauch. 1994 schrieb er einen Brief an seine Oma, avancierte anschließend zu einem der angesehensten Schriftsteller Europas und stampfte die Reformbühne Heim & Welt aus dem Boden, welches als Geburtsstunde der modernen Literatur (Lesebühnen, Poetry Slam, Prager Frühling) in die Geschichte einging. Tourneen durch die ganze Welt, Preise über Preise und ein wahrhaft süßes Leben sind der Lohn. Ahne trägt Kleidung aus seinem Schrank. Quelle: Ahne