N°7: Frauenstimmen
Text: Susanna Schwager, Zürich
Gestaltung: Anna Sommer, Zürich
Lyrik: Leta Semadeni, Lavin
«Wenn auf dieser Welt etwas zu begreifen war, dann musste das auf dem Weg über die Frauen geschehen.» (Cees Nooteboom)
Appetizer
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Magdalena, *1988, Buchhändlerin, Philosophin: «Fremd ist man hier leicht und sehr lange, aber das finde ich normal. Es ist ein Fremdsein in aller Selbstverständlichkeit. Ich weiss jeden Tag, dass ich nicht hier aufgewachsen bin, dass ich die ungeschriebenen Gesetze nicht kenne und die winzigen Nuancen schon gar nicht, dass ich hier keine Wurzeln habe, dass ich anders bin und anders rede. – In der Fremde fremd sein tut nicht weh. – Nur dahei nicht daheim sein finde ich schwierig. Woher das Urvertrauen kommt – kä Ahnig. Ich glaube, ich habe es gratis geschenkt bekommen. Es ist nicht eine abstrakte Grösse, sondern eine tiefe Erfahrung. Und ein unbeschreiblich kostbares Geschenk der Vorfahren. Auch Menschen mit ganz krassen Geschichten können diese Ursicherheit haben. Sie liegt nicht im Lebensgeschichtenglück begründet.
Milli, *1926, Hausfrau, Mutter: Ich glaube, dass viele Männer eigentlich vor allem das suchten, Wärme. Wenn einer das einmal entdeckt hatte, bekam er vielleicht nicht so schnell genug. Genug hat man von der Wärme doch nie. Die Frauen kamen eher auf ihre Rechnung, mit den Kindern, und auch untereinander. Aber die Männer waren irgendwie immer am Frieren. Die bekamen das zu wenig, meistens nicht mal als Kind von der Mutter.
Auszug aus FRAUENSTIMMEN von Susanna Schwager
Susanna Schwager
Wem Susanna Schwager ein unbeschriebenes Blatt ist, der interessiert sich vermutlich nicht für Schweizer Literatur. Als Ausnahmeerscheinung wird sie bezeichnet. Oder von Schriftstellerkollege Urs Widmer auch als eine, die eine ganz eigene Literaturgattung erschaffen hat. Und wen wundert es da: Acht Plätze auf der Bestsellerliste erschrieb sich die 1959 in Zürich geborene Schriftstellerin.
Den Einstieg fand sie mit ihrem Erstlingswerk Fleisch und Blut – Das Leben des Metzgers Hans Meister (2004), in dem sie den Erinnerungen ihres Grossvaters eigene Worte verlieh. Mit Die Frau des Metzgers (2007) und Ida – Eine Liebesgeschichte (2010) vervollständigte. Schwager die dokumentarische Familientrilogie – sie erhielt dafür den Preis für herausragende literarische Leistung der Schweizer Schillerstiftung. Ihr Werk Das volle Leben – Frauen über 80 erzählen (2007) hielt sich rund ein Jahr in den Top-Ten. Vor kurzem veröffentlichte sie den vierten und letzten Band ihres Langzeitprojekts Das halbe Leben – Junge Frauen erzählen (2017).
Susanna Schwager begann ihre Karriere als Lektorin im Diogenes Verlag, nach einem längeren Aufenthalt in Mexiko arbeitete sie als Redaktorin bei der renommierten alten Weltwoche. Die Schriftstellerin wird begleitet von Mann, Kindern und Kindeskindern, über ein halbes Jahrhundert lebte sie in ihrer Geburtsstadt Zürich. Seit Anfang Jahr wohnt sie am Stadtrand.
Anna Sommer
Sommer absolvierte den Grundkurs an der Zürcher Hochschule der Künste und eine Lehre als Grafikerin. 1996 erschien Sommers Comic-Erstling Damen Dramen. Der Band im A5-Format erzählt ohne Worte von unterschiedlichen Frauen. Durch den Erfolg ihrer wild-schrägen, teils frivolen Geschichten mit und um Frauen wurde für Sommer der Schritt von der fest angestellten Grafikerin zur freien Comiczeichnerin und Illustratorin möglich. Auch das zweite Buch Honigmond (1998), «eine bitterböse Geschichte in Collage-Technik über die Auswüchse eine Hochzeitsnacht», ist schnell vergriffen.
In der Folge etablierte sich Sommer sowohl als Illustratorin wie auch als Comiczeichnerin, das Comicfestival Fumetto widmete ihr 2007 schliesslich eine Einzelschau, denn «sie gehört zu den cleversten Fabuliererinnen auf der progressiven Comicszene». Seit den 1990er Jahren arbeitet Sommer regelmässig auch als Illustratorin unter anderem für NZZ Folio, Die Zeit, Libération, WoZ und Strapazin. Ihr Lebenspartner ist der Comiczeichner Noyau.
Leta Semadeni
Leta Semadeni wurde 1944 in Scuol geboren und lebt auch heute wieder im Engadin. Sie studierte Sprachen an der Universität Zürich, in Perugia und Quito (Ecuador) und arbeitete viele Jahre als Lehrerin an verschiedenen Schulen in Zürich und im Engadin. Seit 2005 widmet sie sich ausschliesslich dem Schreiben. Sie publiziert Prosa und Gedichte, wobei sie ihre Gedichte durchgehend auf Rätoromanisch und auf Deutsch schreibt. Ihr lyrisches Werk wurde 2011 mit dem Literaturpreis des Kantons Graubünden und mit dem Preis der schweizerischen Schillerstiftung ausgezeichnet. Zuletzt erschienen «raz» (2011), «Fila, fila! – Spinne, spinne!» (2012) und der zweisprachige Gedichtband «In mia vita da vuolp – In meinem Leben als Fuchs», Chasa editura rumantscha, Chur 2010.
Ihr erster Roman in deutscher Sprache, «Tamangur» (Rotpunktverlag), erschien 2015 und wurde 2016 mit einem Schweizer Literaturpreis ausgezeichnet. Im Juni 2017 erhält Leta Semadeni den Kulturpreis des Kantons Graubünden für ihr Lebenswerk.