N°1: Wo die Welt anfängt
Text: Daniele Muscionico, Zürich
Gestaltung: Bureauvulkanmaschinenfreunde, Buchs
Onething: Nathalie Schmid, Freienwil
Ein wortstarkes und sinnliches Plädoyer für das Lesen im Bett
Appetizer
…
Eine Novelle, eine Kurzgeschichte? Ab ins Bett mit ihr. Sie darf bloss nicht so kurz sein, dass sie sich zwischen den Kissen verliert. Ein Liebesroman? Für Liebe und ihr Gegenteil ist das Bett die klassische Brutstätte. Die Romanze darf allerdings nicht schmutzen, und vor allem soll sie nicht dazu verleiten, dass man zur Lektüre Gebäck knabbern muss. Es gibt seit Anfang der Welt nichts Widerlicheres als Krumen im Negligé. Das Bett ist der beste Leseort. Es ist der ideale Genussort für jede beschriebene Seite und bedruckte Broschüre, die kleiner ist als die Bettdecke gross. Denn das ist ja das Entscheidende des Lesens im Bett: Der Körper ist Teil einer weichen, warmen, einer anderen Welt. Und genauso geht es dem Geist: Er geht ein und auf in den Buchstaben, Wörtern, Geschichten, Figuren. Wenn alles entmaterialisiert ist, frei von Gewicht und irdischem Mass, dann kann die Reise beginnen. Was für ein Glück, lesend andere Länder zu bereisen, ohne lästige Mückenstiche und aufdringliche Eingeborene. Was für eine Freude, Liebespaare zu beobachten. Doch bloss so lange, bis sie alt werden und uns langweilen, wie wir uns selber langweilig sind. Was für ein Genuss dann, Zeuge zu sein des Scheiterns, des tiefen Falls, des Betrugs, Ehebrechens, des Verlusts, den andere erleiden und daran zu Grunde gehen – während wir in der himmlischen Sicherheit der Daunen immer mehr in die Höhe wachsen und uns an unserer Erbauung aufbauen.
_Auszug aus WO DIE WELT ANFÄNGT von Daniele Muscionico
Daniele Muscionico
An ihrem Geburtsort Buchs gab es für Daniele Muscionico zwei Lieblingsorte. Der zweite war die Gemeindebibliothek. Der erste war ihre Fantasie, die in Büchern lebte.
Daniele Muscionico studierte Germanistik und Kunstgeschichte an der Universität Zürich. Nach ihrem Studium trat sie für ein Volontariat in die NZZ ein. Erst 18 Jahre später, in denen sie das deutschsprachige Theater mit Inbrunst betrachtete und bewertete, verliess sie die NZZ, um als freischaffende Kulturjournalistin vermehrt für renommierte in- und ausländische Zeitungen und Magazine zu schreiben. Für ihren Artikel «Diva assoluta» über die vom Schluckauf geschundene Sophia Loren, erhielt Muscionico 2004 den Zürcher Journalistenpreis. Im November 2010 wurde sie mit dem «Schweizer Preis für unabhängigen Journalismus» beehrt. Ihr ausgezeichneter Artikel «Rettet sie, die alte Tante» handelt von der NZZ und wurde in «Die Zeit» veröffentlicht. Seit 2015 schreibt Muscionico wieder für die NZZ sowie weitere national und international renommierte Publikationen.
Nathalie Schmid
«Die Sprache ihrer Gedichte ist unprätentiös und bildhaft und erinnert in ihrer durchgängigen Subjektivität manchmal an die Alltagslyrik der siebziger Jahre.» (Norbert Hummelt, Lyriker)
Nathalie Schmid, 1974 in Aarau geboren, lebt in Freienwil. Nach ihrem Abitur reiste sie durch Nord- und Zentralamerika und besuchte eine Bergbauernschule, bevor sie 2002 ihr Studium am Deutschen Literatur Institut Leipzig im Hauptfach Lyrik abschloss. Schmid bildete sich später weiter zur Erwachsenenbildnerin und Sekundarlehrerin und arbeitet heute auf diesem Beruf. Als freie Autorin veröffentlicht sie in zahlreichen Zeitschriften und ist ausserdem Mitglied des Autorenverbands der Schweiz (Ads). Nathalie Schmid wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, darunter 2006 mit dem 3. Platz des Bolero-Shortstory-Preises oder mit dem ersten Preis als Pro Argovia Künstlerin 2012. Publikationen: Gedichtband «Atlantis lokalisieren» Wolfbach Verlag (2011), Gedichtband «Die Kindheit ist eine Libelle», München: Lyrikedition 2000 2005.
Bureauvulkanmaschinenfreunde
Die Bureauvulkanmaschinenfreunde kann man nicht beschreiben, man muss sie erleben. Einen Einblick in ihr Schaffen gewährt ihr Bureauvulkanmaschinenfreundeinternetauftritt unter www.bureauvulkanmaschinenfreunde.ch. Obwohl, eines vielleicht im voraus: 2015 wurde die fünfköpfige Bureaugemeinschaft Kreativschaffender für ihr Engagement als Kuratoren des Museümli, des wohl kleinsten Kunst-Museums der Welt, mit dem Kulturpreis der Stadt Buchs ausgezeichnet.