N°3: Ist das Schicksal abgeschafft?
Text: Philipp Tingler, Zürich
Gestaltung: Tom Seger, Screenlounge, Vaduz/Zürich
Lyrik: Elsbeth Maag, Buchs
Ein bittersüsser Essay über die Demission des Schicksals in der
digitalen Spätmoderne.
Appetizer
…
Und wie kommen wir da wieder raus? Nö, nicht mit noch mehr Achtsamkeitstraining. Sondern mit diesem uralten Hausmittel: Distanz. Ironie. Ironische Gelassenheit als Selbsterziehung gegen die unendliche Perfektionierungsspirale einer hysterisch gewordenen digitalen Wellness-Gesellschaft. Und zwar ironische Gelassenheit im Sinne des Philosophen Richard Rorty: Rortys Ironiker weiss, dass der Grossteil der Realität indifferent gegenüber unseren Beschreibungen von ihr ist. Ironie in diesem Sinne ist eine Geisteshaltung, die dem Diesseits mit Abstand und Reserve begegnet. Insofern ist sie die weltlichste Form der Transzendenz überhaupt, doch zugleich hinausweisend über die Welt, darinnen liegt ihre Spiritualität. Denn immer noch gilt. Den grösstmöglichen Trost, der im Leben erreichbar ist, kann nur die Beziehung zu einer Dimension der Transzendenz vermitteln. Transzendenz ist laut Duden «das jenseits des Gegenständlichen Liegende, das Überschreiten von Grenzen der Erfahrung und des Bewusstseins». Die Kunst ist nicht der schlechteste Weg dahin. Sie gewährt bekanntlich jene «kleine Ewigkeit, die auf der Spitze eines Augenblicks balanciert». Kunst ist ein Narrativ, wie das Schicksal. Narrative sind Erzählmuster, Sinnbildungen, Weltbilder, also kognitiv-emotionale Weltrepräsentationen, die das Worumwillen und das Tunwollen unseres Handelns motivieren, jenes basale Weltgefühl, das den bewusst formulierten und repräsentierten Überzeugungen immer schon vorausliegt.
Auszug aus IST DAS SCHICKSAL ABGESCHAFFT von Philipp Tingler
Philipp Tingler
Philipp Tingler ist Schriftsteller, Essayist und Kolumnist. Er studierte Ökonomie und Philosophie an der Hochschule St. Gallen, der London School of Economics und der Universität Zürich. Die Liste seiner Veröffentlichungen ist umfangreich; sie umfasst neben Belletristik und Sachbüchern diverse Arbeiten für Presse, Rundfunk und Fernsehen. Philipp Tingler ist u.a. Kolumnist für den Zürcher «Tages-Anzeiger» und im Kritikerteam der Sendung «Literaturclub» des Schweizer Fernsehens SRF.
Elsbeth Maag
Die Steine seien gleichzusetzen den Wellen, unter der Steinhaut, das Brombeerblau ist zurück oder Pappeln rennen durchs Tal – so heissen einige der Gedichtbände der Buchser Lyrikerin Elsbeth Maag. Zahlreiche Ausstellungen und Kooperationen mit anderen Kunstschaffenden, zum Beispiel aus den Sparten Musik, Malerei, Fotografie. Es entstanden Kunstmappen mit Texten zu Lithografien des Kunstmalers Josef Ebnöther, Vertonungen wie Novembrig, Mundart-Texte über Leben und Tod oder Gedichte zu Media Vita, eine Messe für Niklaus Meienberg, beides Werke des Komponisten Peter Roth, oder Lyrik trifft Fotografie mit Sepp Köppel. All dies zeichnet ihr vielseitiges Schaffen aus. Maag lieferte ausserdem verschiedene Beiträge zu Kunst am Bau, zum Beispiel die prägnanten Sätze zu den 15 Kreuzwegstationen in der katholischen Kirche Balgach.
Erwähnenswert sind auch die Sprüche auf den Abfallkübeln an der Buchser Bahnhofstrasse. 2001 wurde Elsbeth Maag mit dem Anerkennungspreis der Arbeitsgemeinschaft Rheintal-Werdenberg und 2004 mit dem Feldkircher Lyrikpreis ausgezeichnet. 2018 wurde ihr der Anerkennungspreis durch die St. Gallische Kulturstiftung verliehen.
Tom Seger, Screenlounge
Seit 2002 kreiert Tom Seger in seinen Ateliers in Vaduz und Zürich Gestaltungskonzepte für Unternehmen und Projekte aus unterschiedlichsten Branchen. Dabei legt er grossen Wert auf die enge Zusammenarbeit mit den Auftraggebern, um eigenständige, umfassende und beständige Erscheinungsbilder entwickeln zu können.