N°38: Eine Hundertstel für die Ewigkeit
Erzählung: Christof Gertsch, Bern
Gedicht: Lars Gustafsson, Schweden
Grafik: Märt Infanger, Luzern
An einem schwülheissen Augusttag des Jahres 2008 standen sich in Peking zwei Schwimmer gegenüber, die sich nichts zu sagen hatten. Dass ihre Leben weniger als eine Minute später für immer untrennbar miteinander verknüpft sein würden, ahnten sie kaum.
Appetizer
EINE HUNDERTSTEL FÜR DIE EWIGKEIT
Alles an dieser Geschichte ist wahr. Ausser vielleicht die Wahrheit selbst.
An einem schwülheissen Augusttag des Jahres 2008 standen sich in Peking zwei Schwimmer gegenüber, die sich nichts zu sagen hatten. Kurz trafen sich ihre Blicke, als sie zu den Startblöcken schritten, doch dann wandten sie sich voneinander ab und warteten – jeder für sich – auf das Signal, dass das Rennen losgeht. Dass ihre Leben weniger als eine Minute später für immer untrennbar miteinander verknüpft sein würden, ahnten sie kaum.
Es gibt einige Gründe, warum das Rennen, von dem dieser Text erzählt, zu den grössten Ereignissen der Sportgeschichte zählt. Die Wettkampfstätte gehört nicht dazu. Dies war nicht die gefürchtete Lauberhornabfahrt, das legendäre Wembley Stadium, die berüchtigte Alpe d’Huez. Dies war der Water Cube, der «Wasserwürfel», ein steriles Hallenbad, errichtet für die Olympischen Spiele in Peking. Ausserhalb des Wasserwürfels hing der Smog so tief über der Stadt, dass man den Eindruck hatte, er wolle alles für ewig unter sich begraben. Drinnen surrte leise die Klimaanlage.
Auszug aus der Erzählung EINE HUNDERTSTEL FÜR DIE EWIGKEIT von Christof Gertsch
Christof Gertsch
Christof Gertsch ist Reporter bei «Das Magazin». Er schreibt, seit er 15 ist, zuerst für das «Burgdorfer Tagblatt» und die «Berner Zeitung», dann für die NZZ und die «NZZ am Sonntag». Liebstes, aber nicht einziges Thema: Sport. Er wurde zum «Journalisten des Jahres» (2022), zum «Reporter des Jahres» (2021) und mehrfach zum «Sportjournalisten des Jahres» gewählt, gewann einen Grimme Online Award, einen Swiss Press Award und zusammen mit Mikael Krogerus den Zürcher Journalistenpreis, den deutschen Reporterpreis – und für einen Text über den Thwaites-Gletscher in der Antarktis jüngst erneut einen Grimme Online Award.
Märt Infanger
Märt Infanger ist gelernter Grafiker aus Engelberg und seit Mitte der Achtzigerjahre Akkordeonspieler bei der Band Jolly and the Flytrap. Als Hausgrafiker der Band und Teilhaber des Musiklabels Noman Records ist er für die Gestaltung der Tonträger, Konzertplakate und Bühnenbilder zuständig. Seit zwei Jahrzehnten erarbeitet er in seinem Atelier Ultrabazar Grafiken für Musiklabels und verschiedenste Bands. Seit 2004 unterrichtet er an der Fachklasse Grafik in Luzern. (Foto: Monique Wittwer)
Lars Gustafsson
Lars Gustafsson (1936-2016) war einer der bedeutendsten Autoren Schwedens. Der Romancier, Lyriker und Philosoph lebte und lehrte lange Zeit im Ausland, u.a. an der University of Texas in Austin. Hinzu kamen mehrere Forschungsaufenthalte in Berlin, Bielefeld und Tübingen. Sein Werk wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet, 2009 erhielt er die Goethe-Medaille, 2015 wurde ihm der Thomas-Mann-Preisverliehen.