N°34: DER LETZTE GAST
Erzählung: Frank Heer, Zürich
Gestaltung: Adrian Elsener (Eisbüro), Zürich
Ein verlassenes Hotel, ein ratloser Autor und ein Pianist, der immer barfuss spielt. Viel Lesevergnügen mit der fiktiven Geschichte von Frank Heer in sechs Akten.
Appetizer
DER LETZTE GAST
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Ich fürchtete schon, dass man mich vergessen hatte, als die Rezeptionistin (erneut schwungvoll) durch eine Flügeltür den Saal betrat und rasch auf meinen Tisch zukam. Offenbar war sie auch die Kellnerin, denn sie fragte mich, was ich trinken wolle. Ich bestellte eine Flasche Rotwein aus der Region, dann erkundigte ich mich, ob man für heute Abend noch Gäste erwarte. Die Kellnerin schüttelte den Kopf: «Sie sind unser letzter Gast.» «Letzter Gast? Wie meinen Sie das?» «Das Hotel schliesst morgen früh. Für immer. In ein paar Wochen wird es abgerissen.» «Das tut mir leid», antwortete ich, als sei jemand gestorben, «hoffentlich haben Sie eine neue Anstellung gefunden.» «Nein», sagte die Frau, «wir wissen es seit gestern.»
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Auszug aus «DER LETZTE GAST» von Frank Heer.
Frank Heer
Frank Heer, 1966 in Uzwil bei St. Gallen geboren, ist Redaktor für Musik und Film bei der «NZ am Sonntag». Er schreibt als Freelancer für Publikationen wie «Das Magazin», «Die Zeit» oder «Schweizer Familie». Von 1995 bis 2005 lebte er als Korrespondent in New York. 2005 erschien bei Hoffmann & Campe sein Romandebüt «Flammender Grund». Sein neuster Roman «Alice» erschien im März 2022 (Limmatverlag). Frank Heer ist nebenberuflich Musiker und veröffentlichte mit verschiedenen Formationen zahlreiche Tonträger. Er lebt mit seiner Familie in Zürich.
Foto © Ayșe Yavaș
Adrian Elsener
Adrian Elsener, 1970 in Rorschach am Bodensee geboren, arbeitet und lebt mit Frau und zwei Töchtern in Zürich. Nach der Grafikfachklasse lernte er in einer Seefeld-Agentur den Computer und die Werbung kennen, machte sich dann selbstständig und führt seit 2000 das dubiose Eisbüro, ein Ladenlokal in Wiedikon, in dem früher galvanisiert wurde.
Gestalterischen Anlauf holt er in abwegigen Landschaften, aus vergriffenen Nachschlagewerken, alten Magazinen und obskuren Schallplatten. Seine Sammlung analoger Alphabete passt in keine Kiste. Am liebsten gestaltet er Plakate, Albumcovers und Zündholzschachteln. Die Programmplakate für das Palace St. Gallen oder den Helsinkiklub Zürich hängen in Küchen, Stuben und Treppenhäusern.
Immer mehr (Foto-)Archive finden den Weg ins Eisbüro, sie gehen dann als Bücher wieder hinaus. Wenn ihm die Buchstaben verleidet sind, nimmt er eine seiner historischen Kameras in die Hand. Damit macht er grossformatige Inszenierungen mit vielen Menschen an seltsamen Orten oder fotografiert Bands in unerwarteten Posen.