N°31: DAS MAGISCHE MEDIUM
Essay: Dr. Frank Berzbach, Köln
Gestaltung: Jenna Gesse, Berlin
In seinem Essay «Eine kleine Philosophie des Briefeschreibens» schwärmt Autor Dr. Frank Berzbach von diesem magischen Medium, das er selbst regelmässig anwendet.
Appetizer
DAS MAGISCHE MEDIUM
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Niemand gesteht mündlich seine Liebe derart, wie es in einem Liebesbrief möglich ist. Niemand versucht sich mündlich über eine vergleichbare Textlänge an einer Entschuldigung für sein Fehlverhalten. Das alles können nur Briefe; allein ist man mutiger, konzentrierter, vom Sozialen entlastet. Franz Kafka konnte in einem überlangen Anti-Liebesbrief liebevoll begründen, warum er die Empfängerin nicht (!) heiraten will: Die körperliche Gemeinschaft und Ehe gefährden seine Berufung, das Schreiben. Tatsächlich gefährdet die körperliche Nähe auch das Medium Brief – er wird überflüssig; wir schreiben Abwesenden. Kafka nutzte auch die Briefform, um mit seinem Vater abzurechnen, auch wenn er ihn nie absandte – heute hat er weltliterarische Bedeutung.
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Auszug aus »Eine kleine Philosophie des Briefeschreibens« von Dr. Frank Berzbach. Er schreibt in Köln und St. Pauli.
Dr. Frank Berzbach
Dr. Frank Berzbach unterrichtet Literatur und Philosophie an der Technischen Hochschule Köln und ist freier Autor. Nach einer Ausbildung zum Technischen Zeichner studierte er Erziehungswissenschaft, Psychologie und Literaturwissenschaft. Über Wasser hielt er sich als Bildungsforscher, Wissenschaftsjournalist, Fahrradkurier und Buchhändler. Er hat eine Vorliebe für Schreibgeräte, Schallplatten und Bücher, Tätowierungen und Klöster. Er lebt in Köln und auf St. Pauli.
Publikationsschwerpunkte: Kreativität, Arbeitspsychologie, Religion und Spiritualität, achtsamkeitsbasierte Psychologie, Literatur, Popkultur und Mode. Zuletzt erschienen: „Die Kunst zu lesen“ (Eichborn Verlag, 2021), „Die Form der Schönheit“ (Eichborn Verlag, 2020) und „Die Schönheit der Begegnung“ (Eisele Verlag, 2020)
Foto: Irene Zandel
Jenna Gesse
Jenna Gesse arbeitet als selbstständige Gestalterin und Texterin in Berlin. Sowohl formal als auch inhaltlich interessieren sie Strukturen, Brüche, Atmosphäre und Präzision. Seit 2017 unterrichtet sie „Buchgestaltung“ an der FH Bielefeld, von 2015 bis 2018 lehrte sie „Typografie“ am Lette-Verein in Berlin. Ihr Buch „Leerzeichen für Applaus“ erschien 2010 im Niggli Verlag.
Sie war Jury-Mitglied bei den Wettbewerben „Schönste Deutsche Bücher“ und „Schönste Tschechische Bücher“. Ihre Arbeiten wurden mehrfach ausgezeichnet, unter anderem von der Stiftung Buchkunst, dem Type Directors Club (TDC) und dem Art Directors Club (ADC).
Foto: Jan Düfelsiek